Interview zum zweiten Heini-Prozess

Die Drei Heini‘s
2. Akt 3. Teil

Die Aufarbeitung

Nun wenden wir uns wieder einmal an euch mit ein „wenig“ Output. 🙂
Mit dem Weg sich selbst vor Gericht zu vertreten, wie es der zweite Heini gemacht hat, gibt es in letzter Zeit wenig oder keine praktischen Erfahrungen bezüglich dieser Schwere der Vorwürfe.
Da dieser Weg nicht nur für den Heini aus Überzeugung geschehen ist, sondern wir auch durchaus ein experimentelles Potenzial in dieser Form des Widerstandes sehen, möchten wir mit dem folgenden Artikel die Gedanken bearbeiten, die wir uns gemacht haben, die Konsequenzen beleuchten, derer wir uns bereits bewusst sind und Handlungsspielräume eröffnen, welche wir durch die tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Rechtssystem kennenlernen konnten.
Wir begreifen unsere Arbeit nicht nur als Unterstützung für Die Drei Heinis, sondern sehen dies auch aus vielerlei Hinsicht als große Möglichkeit, Diskussionen in der Szene anzustossen, um neue Wege zu erschliessen und wieder offensiver mit Repressionen umgehen zu können.
Wir haben für diesen Artikel eine Art Interview Format gewählt, um so besser die verschiedenen Seiten beleuchten zu können.
Im Folgenden beschäftigen wir uns mit der Entwicklung Einzelner und der Gruppe, betrachten die Vor- und Nachteile sich selber zu verteidigen, welche Möglichkeiten es gibt, den Gerichtsaal zu erobern. Aber auch, inwiefern die Verweigerung der Logik der Gerichte überhaupt möglich ist und die damit einhergehende politische Relevanz unserer Handlungen. Und zu guter Letzt gehen wir darauf ein, was wir daraus ziehen können, sei es Energie, Selbstbewusstsein oder auch was wir vielleicht eingebüßt haben.
Den Artikel veröffentlichen wir diesmal auf unserem neuen Blog, welchen wir lieber spät als nie nutzen möchten. 🙂

Wir wünschen euch viel Spaß beim lesen und hoffen sehr, dass wir uns am 24.September um 09.00h in der Turmstr. 91 zum nun dritten Prozesses der Heinis sehen und euch wiedermal als Unterstützer*innen begrüßen können.

Fette solidarische Grüße an alle Gefangenen! Mit besonderem Blick auf „Die Drei von der Parkbank“ und „Die Drei von der Autobahn“, welches die neuesten Opfer der präventiven Abwehrmethoden dieser widerlichen, repressiven Staaten sind!
Freiheit für alle Gefangenen!!!!

Die Drei-Heini-Crew

Hier das Interview:

Wie sah der Gruppenprozess im Laufe der ersten beiden Prozesse aus?
Antwort Support-Kreis:
Eine wichtige Erfahrung für uns als Support-Kreis war das Empowerment im Laufe der Vorbereitung auf den Prozess und während des Prozesses selbst. Das mag im ersten Moment kontraintuitiv erscheinen, weil es sich ja um eine Situation handelt, in der mensch mit Repression zu tun hat. Sich jedoch aus einer Situation der (vermeintlichen) Ohnmacht gegenüber der Repression in eine Position aktiver, kollektiver Mitbestimmung zu versetzen, haben wir als sehr empowernd erlebt.
Die Selbstermächtigung ist für uns ein zentraler Erfahrungswert der Anti-Rep-Arbeit.
Das bedeutet, aus der Repression nicht „nur“ einen Abwehr-Kampf zu machen bzw. die Anti-Rep-Arbeit nicht „nur“ als aufgezwungene Reaktion zu sehen, sondern sie aktiv und selbstbestimmt mitzugestalten. Auf diese Weise kann den eigenen politischen Standpunkten Ausdruck verliehen werden, zum Beispiel über der Prozess, die Gerichtsverhandlung selbst, aber auch Drumherum im Rahmen einer Kundgebung mit Redebeiträgen, über Flyer, Plakate, veröffentlichte Artikel usw.
So haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Rahmen des Gerichts aktiv mitbestimmt werden kann und mensch den Logiken des Justizsystems nicht vollkommen unterworfen ist. So konnten wir mit einem selbstbewussten Gefühl, mehr oder weniger frei vom Gefühl der Fremdbestimmung aus dem Gericht rausgehen.

Die Dinge selber in die Hand zu nehmen, bedeutete auf der anderen Seite auch viel Druck und Verantwortung gegenüber der betroffenen Person. Viel Arbeit wurde nicht in die Hände einer anwaltlichen Unterstützung gelegt, was uns viel Druck hätte ersparen können. Auf der anderen Seite haben wir uns bewusst dagegen entschieden, um mehr eigenen Handlungsspielraum zu haben. Nur in einzelnen Fragen haben wir uns von einer Anwältin unterstützten und beraten lassen.
Die gemeinsam gemachte Arbeit und von uns getragene Verantwortung hat bedeutend zu unserem Gruppengefühl und zur Gruppenstärke beigetragen.

Durch den Prozess haben wir außerdem die Erfahrung gemacht, dass eine offensive Selbstverteidigung nicht per se zu härteren Urteilen führt (zumal, wenn sie “nur” dazu genutzt wird, ein politisches Statement zu setzen). Das Urteil lag sogar niedriger als (von einzelnen) erst angenommen.

Darüber hinaus hat auch eine theoretische Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe stattgefunden. Wir haben uns in die Grundlagen des Rechts-, Straf- und Gefängnissystems eingearbeitet und uns mit Alternativen zum Straf- und Gefängnissystem (Stichwort: Transformative Justice) auseinandergesetzt. Auch diese Arbeit haben wir als empowernd erlebt und konnten uns in einem gewissen Maße die Mittel des Gerichts aneignen, um sie gegen dieses zu wenden. Konkret kann das zum Beispiel heißen, sich in das Schreiben von Beweisanträgen einzuarbeiten und/oder die eigenen Rechte (vor Gericht) zu kennen.

Wo siehst du die Vor- und Nachteile, sich selbst vor Gericht zu verteidigen?
Antwort Support-Kreis:
Vorteile sehen wir in verschiedenen Punkten. Einerseits bedeutet es für uns, sich nicht (oder so wenig wie möglich) auf die Logik des Gerichts und des Justiz-/Strafsystems einlassen. Aus diesem Grund wurde keine anwaltliche Vertretung in Anspruch genommen, da Anwält*innen ein Teil des Rechtssystems sind.
Wir haben uns bewusst von der Illusion verabschiedet, in einem “gerechten” Verfahren die eigenen Möglichkeiten auszuloten. Stattdessen haben wir darauf gesetzt, die eigene Meinung offensiv kundzutun und der repressiven Stimmung des Gerichts somit zumindest ein wenig entgegenzutreten.
Außerdem wollten wir neue Strategien vor Gericht wagen und so auch gute Erfahrungen machen, die auch andere ermutigen können, diesen Weg zu gehen.

Nachteile können sich je nach Standpunkt und Ausrichtung der Selbstverteidigung ergeben. Wenn die betroffene Person sich selber verteidigt und das Ziel hat, zum Beispiel die eigene “Unschuld” zu beweisen, fehlt einem im Zweifel die anwaltliche Erfahrung, vor allem in der Befragung. An den entscheidenen Stellen werden dann ggf. nicht die notwendigen Fragen gestellt, die die “Unschuld” belegen könnten.
Die Möglichkeit, sich selbst zu belasten, ist an dieser Stelle auch sehr groß. Im Zweifel halten Anna und Arthur immer noch das Maul!

Wir konnten in dem Prozess leider nicht alles ausschöpfen, weil wir (wegen frühzeitiger Räumung des Gerichtssaals) nicht alle Mittel anwenden konnten, die wir vorbereitet haben (Beweisanträge, Befragung). Aus diesem Grund ist unsere Erfahrung auch begrenzt; Es wäre sehr interessant gewesen, welche Reaktion die Beweisanträge hervorgerufen hätten.
Die Räumung des Gerichtssaales, als Reaktion auf die kleinen Interventionen von Seiten des Publikums am Anfang, hat leider dazu geführt, dass wir nicht alle Mittel ausspielen konnten. Hier kann sich also die Frage gestellt werden: Möchte mensch am Anfang lieber die Füße still halten, um zum Beispiel den Fokus auf Anderes (die Befragung etc.) zu legen. Das Gericht funktioniert so autoriär, dass selbst bei kleinen vereinzelten Störungen geräumt wird, sodass es sich lohnt, sich diese Fragen vorab zu stellen.

Welche Möglichkeiten gibt es, den Rahmen des Gerichts selbst zu gestalten?
Antwort zweiter Heini:
Den größten Handlungsspielraum habe ich dadurch gewonnen, dass ich mich selber vertreten habe. Es hat mir die Möglichkeit gegeben, Anträge zu stellen, Zeug*innen-Befragungen zu machen und selber in Kontakt zu den Richtenden zu stehen, die einen sonst gern einfach ignorieren, wenn man mit Anwält*in auftritt. Und durch die gute Vorbereitung hatte ich ebenfalls den Überraschungsmoment auf meiner Seite. Dadurch war die Richterin in einigen Situation über den Nachdruck von Forderungen und dem angewandten Wissen bei Gericht wirklich verwundert.

Antwort Support-Kreis:

1. Kleine Interventionen während des Verfahrens:

– den Anweisungen/Regeln des Gerichts nicht (direkt) Folge leisten, z.B. sich nicht oder verlangsamt erheben, wenn die Richterin den Saal betritt.

– Zwischenrufe/Kommentare/Sprechchöre

– Mimik/Gestik, z.B. Grimassen schneiden, Kopf schütteln etc.

Das Ziel bei solchen Interventionen ist es, zum Ausdruck zu bringen, dass mensch die Logik des Gerichts nicht teilt, nicht akzeptiert, ihr widerspricht und ihr (möglichst) keine Folge leistet. Dabei muss mitbedacht werden, dass solche Störaktionen dazu führen können, dass das Publikum aus dem Gericht geworfen wird und dann kein Support mehr für die angeklagte Person anwendend ist.

2. Die „Regeln“ des Gerichts kennen, um die eigenen Handlungsspielräume ausloten zu können:
Nach Regel xy ist es der angeklagten Person jederzeit erlaubt, den Gerichtssaal zu verlassen (Ausnahmen: während der Verlesung der Anklageschrift, des Urteils oder wenn eine Bewährungsstrafe im Raum steht). Darüber hinaus ist nicht genau festgeschrieben, wann die angeklagte Person das „Opening Statement“ verlesen darf.

3. Eigenen Themen Aufmerksamkeit verschaffen:
Es gibt die Möglichkeit, Themen auf den Tisch zu bringen, die sonst ausgeblendet werden, wie zum Beispiel Polizeigewalt, die nicht anzeigbar ist (Polizeigewalt bis hin zu Polizeimorden werden auch in vielen Fällen vom Gesetz geschützt) oder es keine Aussicht auf Erfolg bei einer Anzeige gibt bzw. die Gefahr einer Gegenanzeige im Raum steht.
So können konkrete Fälle von Polizeigewalt zum Beispiel in der Bullenbefragung thematisiert werden, ohne eine Anzeige zu stellen und sich auf die Logik einzulassen, dass Gewalt nur da geschehe, wo sie im Nachhinein vom Gericht als “echt” anerkannt wird.

Unsere Abwesenheit nach der Räumung hatte auch irgendeine Wirkung, über die wir aber nur spekulieren können. Die Wirkung der Abwesenheit sollte aber nicht unterschätzt werden.

Ist es möglich, sich zum Gericht und den Vorwürfen, die einem gemacht werden, zu verhalten, ohne sich auf die Logik des Gerichts einzulassen?
Antwort zweiter Heini:
Rückblickend würde ich sagen, dass es möglich ist. Meine Prozesserklärung und die weiteren Vorbereitungen, welche wir getroffen haben, waren darauf aus, eine Sicht der Dinge zu vermitteln, die sich ganz klar auf die Misstände und Ungerechtigkeiten des Rechtsstaates beziehen, aber inhaltliche Fragen nach Schuld und Unschuld oder ähnlichem außenvor lassen.
Ebenso ist es möglich, Themen, die in direktem Bezug stehen, anzubringen, ohne sich dabei selber zu belasten.

Antwort Support-Kreis:
Wir sehen verschiedene Möglichkeiten, sich zu den Vorwürfen zu verhalten, ohne sich auf die Logik des Gerichts einzulassen. Mehr noch: die Logik des Gerichts kann aktiv in Frage gestellt werden. Der Rahmen und die Spielregeln, die vom Gericht vorgegeben werden, können mitgestaltet bzw. verändert werden.
Eine Möglichkeit liegt darin, dem Fokus des Gerichts, dem es (vermeintlich) um die Ermittlung von „Schuld“ und „Unschuld“ der angeklagten Person geht, entgegenzutreten und eine andere Perspektive zu eröffnen. In dieser kann die Legitimation des Gerichts infrage gestellt werden, zum Beispiel in der Prozesserklärung, durch Befragung der Zeug*innen (wenn Polizist*innen), über Beweisanträge etc.
Man könnte sagen, dass auch hier rechtsstattliche Mittel wie das Recht auf eine Stellungsnahme/Plädoyer gegen das Gericht genutzt wurden und somit die Logik ein Stück weit angenommen wurde. Vor dem Hintergrund der bestehenden Machtverhältnisse, ist dies jedoch eine der Wege, einen möglichst selbstbestimmten Weg vor Gericht zu gehen.

Wie viel Energie will mensch in Anti Rep Arbeit (bei eigener Betroffenheit) stecken? vs. Was kann mensch alles daraus lernen?
Antwort zweiter Heini:
An einem gewissen Punkt in der Vorbereitung habe ich mich aktiv dazu entschlossen, die Situation als Kampf/politische Arbeit zu akzeptieren und mich einzuarbeiten, mich tiefgehend damit auseinanderzusetzen und mir dadurch Handlungsspielräume zu erarbeiten. Ich wollte das Beste daraus zu machen.
Die daraus entstandene Arbeit habe ich nicht als belastend empfunden. Ich habe in den letzten Monaten, aber besonders in den vier Wochen vor dem Prozess, nahezu alles stehen und liegen gelassen um mich auf diesen Tag vorzubereiten. Die Argumentation, dass dies einen entscheidenden Teil der Represssion darstelle, zu der wir gezwungen werden, teile ich prinzipiell. Nur habe ich es als völlig gegenteilig wahrgenommen. Ich habe unglaublich viel gelernt, kenne nun Schlupflöcher im Justizsystem, habe nun eine sehr umfassende Kritik am Straf- und Rechtssystem für mich erarbeitet und zu guter Letzt mich selber vor Gericht behauptet, mich durchgesetzt, mich aktiv verhalten und die Schlupflöcher genutzt, die das System uns zur Verfügung stellt.
Kurz gesagt – ich bin durch und durch gestärkt aus diesem Prozess bis jetzt rausgegangen. Und auch mein Selbstbewusstsein hat einen guten Satz nach vorne gemacht. Die Tatsache, sich gegenüber dem “Staat” also Staatsanwaltschaft und Richterin zu behaupten, hat richtig gut getan und war weniger aufregend als gedacht. Ich glaube, das lag daran, dass ich durch die Vorbereitung so sehr davon überzeugt war, dass sie überhaupt kein Recht haben über mich zu richten, durch all die Fakten, die ich erarbeitet habe, dass mir jegliche Form von Respekt und Achtung vor dieser Institution und ihren Handlanger*innen fehlt.
Natürlich hat es mich sehr viel Energie gekostet, mir viele unruhige Nächte beschert und sicher kamen auch immer wieder mal kurze Zweifel auf. Aber das steht in keinem Verhältnis zu dem, was ich gewonnen habe an diesem einen Tag des Prozesses.

Antwort Support-Kreis:

Aus einer Situation der Ohnmacht, der Vorwürfe, der Angst, der Wut, der Betroffenheit –  eine Situation zu machen, in der die eigene politische Überzeugung zum Ausdruck gebracht werden kann und die als politisches Kampffeld selbst und aktiv gestaltet werden kann. So kann eine Situation erzeugt werden, in der die Angst vor Repression einem bewussten Umgang damit weichen kann und sich Einzelne selbstbestimmt entscheiden können, welche Formen von Repression sie sich aussetzen können.
Somit ist die Anti-Rep-Arbeit nicht nur ein Abwehrkampf, sondern birgt Potential für Empowerment und aktive politische Einflussnahme.
Allerdings ist Anti-Rep-Arbeit zur Unterstützung Einzelner definitiv viel Arbeit. Je nach Ausrichtung des Verfahrens kann es aber auch Auswirkungen auf weitere Verfahren haben (vgl. Frage zu politischer Relevanz). Das erlernte Wissen und gemachte Erfahrungen können an anderer Stelle genutzt werden.

An dieser Stelle ist uns ein Punkt der Selbstreflexion wichtig. Es sollte bedacht werden, dass es auch Ausdruck der eigenen gesellschaftlichen Position ist, wer sich wie frei dazu entscheiden kann, sich selber zu vertreten und damit ein höheres Strafmaß zu riskieren, auch wenn Erfahrungen immer wieder gegenteiliges zeigen. Habe ich den Zugang zu notwendigen Fähigkeiten/Skills zur Selbstverteidigung? Die Zeit mich vorzubereiten?
Wer sagt, aus politischer Überzeugung in den Knast zu gehen, kann sich das zumeist auch auf verschiedenen Ebenen leisten:

  • emotional Strategien zu haben, um es im Knast psyschich auszuhalten; ob mensch kleine Kinder hat etc.)
  • gender-spezifisch (Komme ich in den Knast, dem ich mich “zugehörig fühle” aufgrund von gender (Personen mit nicht binärer Geschlechtsidentität oder auf Transgeschlechtlichkeit bezogene Diskriminierungserfahrungen in einem geschlechterbinären Knastsystem)?)
  •  finanziell (Verliere ich meine Arbeit?; Erhalte ich weiterhin problemlos Geld vom Jobcenter?; Finde ich eine neue Arbeit?; Habe ich ein soziales Netz, das mich auffängt? etc.)
  •  aufenthaltstechnisch (Was bedeutet ein Knastaufenthalt für meine Zukunft?)
  • Weiteres (Werde ich einer Minderheit zugerechnet, die ständig kriminalisiert wird, sodass das Risiko von weiteren Anzeigen und Inhaftierungen aufgrund von Diskriminierung und nicht “nur” aufgrund von politischen Aktionsformen wie Blockaden o.Ä. besonders hoch ist?;
  • Ist meine Gesundheitsversorgung im Knast sichergestellt?; Wie komplex ist der Fall?
  • Welche Auswirkungen kann meine Strategie für andere Menschen haben, die auch im Visier der Justiz sind?;
  • Wie hoch ist das realistisch mögliche Strafmaß? Einfaches Strafrecht oder Terroranschuldigungen (§129)?;
  • Habe ich dauerhaften Support, auch während der Knastzeit?

Die Entscheidung zur Strategie ist also nicht einfach ein Abbild der politischen Überzeugung der betroffenen Person, sondern ein Zusammenspiel von politischer Überzeugung, politischen Prioriäten (wo will ich meine Energie reinstecken?) und gesellschaftlicher Position mit den daran hängenden Ressourcen.

Wo seht ihr  die Politische Relevanz und ggf. Potenzial von offensiven Gerichtsverfahren für die linke Szene/Bewegung?
Antwort Support-Kreis:
In einer offensiven Prozessführung kann die eigene politische Haltung aktiv, laut und öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck gebracht werden. Gerade in Zeiten von fortlaufenden Gesetzesverschärfungen ist es von besonderer Relevanz, Strafbefehlen zu widersprechen und sich ggf. auch selber zu verteidigen. Allgemein ist es wichtig, sich gegen absurde Strafbefehle zu widersetzen. Auch da gibt es die Erfahrung, dass vom angesetzten Strafmaß im Strafbefehl nicht viel übrig bleibt.
Ein selbstbewusstes Vorgehen und die gemachten Erfahrungen vor Gericht können in die Szene getragen werden und so auch andere Menschen empowern sich zu widersetzen. Das muss nicht gleich bedeutet, sich selbst zu verteidigen; Sand im Getriebe kann auch bedeutet, Widerspruch gegen Strafbefehle einzulegen und sich dann vertreten zu lassen.
Außerdem kann der Staatsanwaltschaft und den Gerichten gezeigt werden, dass sie mit ihren absurden Vorwürfen nicht so leicht durchkommen. Indem Gerichtsverfahren eingefordert werden, sind Gerichte aufgrund ihrer geringen Kapazitäten schnell überfordert. Das wiederum kann perspektivisch dazu führen, dass sich die Justiz überlegt, was sie einer Person genau im Strafbefehl vorwirft.
Die von uns gemachten Erfahrungen müssen auch deshalb weitergetragen werden, da die Prozessführungen in den letzten Jahren, seit den G8-Protesten bei Rostock, defensiver geworden sind. Dadurch gibt es immer weniger weitergetragenes Erfahrungswissen, was den Effekt bei Betroffenen verstärkt, sich ebenfalls defensiv zu verhalten.
Darüber hinaus kann eine offensiven Prozessführung dazu beitragen, den abgeschlossenen Charakter des Gerichts zu durchbrechen. So kann mehr Aufmerksamkeit auf die Missstände im Rechtssystem gelenkt werden. Kein Verhandeln und Verurteilen hinter verschlossenen Türen!
Zuletzt können solche Gerichtsverfahren als Plattform genutzt werden, um Kritik am Staat, an der Polizei, am Rechtsstaat etc. offensiv zum Ausdruck zu bringen.

Was hat dem zweiten Heini in der Vorbereitung geholfen?
Antwort zweiter Heini:
Als aller erstes möchte ich an dieser Stelle die Soligruppe erwähnen, die uns drei Heinis umgibt. Ohne sie wären sehr viele Dinge gar nicht möglich gewesen. Ich hatte zu jeder Zeit das Gefühl, Leute hinter mir stehen zu haben, nicht allein zu sein. Die mir gebotene Hilfe hat sich von emotionaler Begleitung, über Begleitung zu anwältlichen Beratungsgesprächen, Prozesserklärung ergänzen und korrigieren, Artikel schreiben und Kundgebung organisieren erstreckt und mir so den nötigen Rückenwind gegeben, mich derartig in die Vorbereitung zu stürzen.
Geholfen haben mir ebenso wiederkehrende Gespräche mit Antwält*innen über Schlupflöcher oder Rücksprache von Handlungsideen vor Gericht, um so mein selbstinszeniertes Schauspiel gut vorzubereiten 🙂

Wie kann Empowerment in der Anti-Repressions-Arbeit aussehen?
Antwort Support-Kreis:
Empowerment (in der Anti-Rep-Arbeit) hat viele Seiten. Da gibt es einerseits natürlich den emotionalen Support, v.a. für die angeklagte Person, aber auch untereinander. Darüber hinaus haben wir uns gegenseitig zu Handlungen ermutigt und bestärkt, die wir vorher nicht für machbar hielten oder die wir einfach noch nicht gemacht haben – von „kleinen“ Dingen wie das (Mit)schreiben an einer Prozesserklärung, Störaktionen im Gericht usw., Redebeiträge auf einer Kundgebung bis hin zur eigenen Verteidigung vor Gericht.
Außerdem haben wir gemeinsam über (politische) Strategien vor Gericht und Drumherum diskutiert und abgewägt, was für die angeklagte Person und den Support-Kreis möglich und gut ist.
Auch wenn es natürlich nur der eine Heini war, der sich de facto vor Gericht selbst vertreten hat, ist es empowernd, Teil der Vorbereitung zu sein.

Wie war der Tag bei Gericht? Hat euer Plan geklappt?
Antwort Support-Kreis:
Der Tag hat nicht nur gezeigt, dass wir gemeinsam den Rahmen des Gerichts mitbestimmen können, dass eine aktive inhaltliche und praktische Auseinandersetzung mit all dem, was an Repression dranhängt (Logiken des Gericht, Rechtsstaat, Polizeigewalt etc.) zu politischer (und empowernder) Arbeit werden kann, sondern auch, dass die gemeinsame Arbeit in der Anti-Rep-Gruppe ein Vertrauen untereinander geschaffen hat, auf welches wir uns stützen können.
Das Annehmen von viel Arbeit und Verantwortung und auch noch innerhalb sehr kurzer Zeit und im Sommerloch hat für uns zu einem sehr bestärkenden Resultat geführt.

Was hat euch am Verlauf des Verfahrens besonders überrascht?
Antwort Support-Kreis:
Dass es aufgehen kann, wenn eine Strategie vor Gericht darauf ausgelegt ist, nur eigene Inhalte zu setzen und den ganzen Gerichtsrummel außen vor zu lassen. Um es von einer anderen Seite zu betrachten: Die ganze Inszenierung vor Gericht ist so sehr auf die Autoritarität der Richterin aus, dass sie überhaupt nicht bemerkt hat, das wir da waren, um unseren eigenen Handlungsspielraum vor Gericht kurz auszunutzen und danach wieder zu gehen. Das klingt nicht so, als ob wir viel gewonnen hätten, aber das Gericht ist vielleicht auch einfach nicht der Ort, um viel zu gewinnen. Die Urteile sind in den allermeisten Fällen so von Bullenzeug*innen beeinflusst, dass uns in diesem Fall eine Verteidigung einfach nicht interessiert hat.

Was würdet ihr das nächste mal anders machen?
Antwort Support-Kreis:
Das klarste was mir dazu einfällt: Alles!
Aber das ist nicht so gemeint, dass ich finde, wir hätten irgendwas schlecht oder falsch gemacht. Es ist nun mal so, dass jede von Repression betroffene Person sich neu auf die Situation einstellen muss. Die Strategie, wie mit dem Druck vom Staat umgegangen wird, muss irgendwie zu der Person passen bzw. es muss eine gewisse Bereitschaft da sein, sich auf die Handlungsspielräume, die sich ergeben, einzulassen.
Darüber hinaus gibt es verschiedene kleine fiese Tricks, wie Richter*innen genervt und damit sukzessive in ihrer Autorität begraben werden können. Die kollektive Verabredung des Publikum zu Gesten oder Geräuschen bei häufig wiederkehrenden Formulierungen hat sich an dieser Stelle als sehr passend erwiesen. Transpis im Gerichtssaal, vollgeschmierte Klos oder Flure sind weitere Möglichkeiten, um den kleinen Handlungsspielraum vor Gericht auszureizen und zu erweitern.

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