Warum sitze ich wieder hier vor Gericht?
Weil ich verhaftet wurde, damals vor inzwischen über 3 Jahren. Bei einer Kundgebung gegen die Polizeigewalt während dem G20 Gipfel.
Ich sitze aber auch hier, weil ich mit dem Urteil in erster Instanz nicht einverstanden bin.
Ein weiterer Grund wegen dem ich wieder hier bin, ist, dass Gesetze ins absurde verschärft worden sind, damals kurz vor dem G20 Gipfel, oder besser gesagt: damals, kurz vor den angekündigten Protesten.
Ich sitze auch wieder hier, wegen der Gewalt, die die Polizei in den Tagen von Hamburg ausgeübt hat. Denn sonst hätte es die besagte Kundgebung am Heinrichplatz, bei der ich festgenommen wurde, auch nicht gegeben. Die Rede ist dabei von den Angriffen auf die angemeldete Demonstration am Fischmarkt, den Übergriffen in Gewahrsam, bis hin zu wahllosen Attacken gegen Menschen, die in den Augen der bewaffneten Gesetzeshüter*innen nicht in eine weiße deutsche Gesellschaft gehören würden. Ich habe den Eindruck, dass diese Tage zu einem kollektiven Trauma für viele von denen geworden sind, die damals vor Ort waren, um in welcher Form auch immer, der ausbeutenden Politik der G20 etwas entgegen zu setzen. Ihnen Herr M. (Anm.: Richter im Prozess) sind sicher die Zahlen der eingegangen Anzeigen gegen Polizist*innen bekannt – und wohl auch, dass alle abgewiesen worden sind, bis auf eine. Bei der hat ein Polizist gegen einen Kollegen Anzeige erstattet, von dem er in einem Streit in der Gesa attackiert wurde. Und da wundern sich die Herrschaften in Politik und Justiz, wenn sich Menschen, die für eine faire Gesellschaft streiten, nicht mehr auf Rechtsstaatlichkeit verlassen wollen und die Aussagen vor Gericht verweigern. So werde ich es auch tun. Dies ist keine Einlassung, kein Geständnis, keine Verteidigung, sondern eine Anklage.
Ich bin nicht hier um mich als Person oder um meine Position zu Polizeigewalt zu verteidigen, sondern um diese Gewalt anzuklagen. Und ebenso die Gerichte, die der verlängerte Arm dieser Gewalt sind. Das sind sie jedes mal, wenn sie den absurden Aussagen von Polizei Zeug*innen aus der Hand fressen. Jedes mal wenn sie selbst Aussagen und Atteste über erlebte Gewalt ignorieren oder das aggressive polizeiliche Verhalten legitimieren. Die Gerichte machen sich ebenso mitschuldig, wenn sie Fehlentscheidungen von Kolleg*innen nicht prüfen. Etwa wenn kein Verfahren eröffnet wird im Fall von Ermordungen oder diese mit einem Freispruch enden. Dieser Justizapparat macht sich zum Komplizen einer Gewalt, die in Gewahrsam, im öffentlichen oder privaten Raum uns allen begegnen kann. Der Fall von Maria aus Friedrichshain hat daran erinnert. Eine Frau, ermordet durch einen Polizisten im eigenen Zuhause. Wie so oft in solchen Fällen werden die Opfer als psychisch krank oder aggressiv erklärt. Das ist eine Verkehrung von Täter und Opfer Rollen. Diese Gefühle und Diagnosen werden weiblich sozialisierten Menschen nur zu oft nachgesagt, um ihnen ihre Selbstbestimmung zu nehmen, und am Ende sogar ihr Leben. Die Täter bleiben auch im sog. Rechtsstaat Deutschland am Ende straffrei.
Gerade mal 2 Prozent aller Fälle von Polizeigewalt kommen vors Gericht, nur ein Bruchteil dieser Verfahren enden mit einer Verurteilung der uniformierten Gewalttäter*innen.
Mit anderen Worten: in der BRD herrscht Straflosigkeit bei der Verfolgung von polizeilicher Gewalt. Und das bei so vielen Gerichten und Unmengen an Bürokratie – ärgerlich, oder strukturell angelegt.
Aber neben der Frage, warum ich wieder hier bin, gibt es auch Gründe, warum ich trotz allem hier bin. Es hätte gute Gründe für mich gegeben, mir das alles hier zu ersparen. Ich würde mir gerne nicht nochmal die Aussagen von 11 bewaffneten Männern anhören müssen, in denen sie sich über mich lustig machen, und sie lamentieren, was das denn für ein schlimmer Abend damals gewesen sein soll. Damals, als der Heinrichplatz quasi in Flammen aufging.
Denn bevor alles quasi in Flammen aufging, wurde ein Teilnehmer der Kundgebung plötzlich aus dem Nichts von einem dieser 11 bewaffneten Typen festgenommen. Laut der Aussage dieses Polizisten vor Gericht, weil er da so ein Gefühl hatte, dass ihm das Bein gestellt worden sei. Er habe das einfach gemerkt, dass ihm da irgendeine Person was Böses wollte. Dieser absurde Vorwurf wurde zu einer Anzeige und endete auch vor Gericht. Diese story hatte keinen Bestand und die zunächst angeklagte Person, wurde tatsächlich frei gesprochen. Ich war überrascht, denn in all den Verfahren, die ich mir seit meinem eigenen angesehen habe, habe ich keinen Freispruch mitbekommen. Da war ich nicht mehr ganz so desilusioniert von den Gerichten, für einen Moment zumindest. Denn dieser Fall sagt nur wenig über die Strukturen und Systematik von Gerichten und ihrem zweifelhaften Verhältnis zu Polizeizeug*innen aus. Leider. Vielmehr kam die Willkür, die in diesen Wänden waltet, zum Vorschein.
Da wird es wahrscheinlich so manche wundern, dass ich dennoch hier bin. Vielleicht werde ich mich am Ende ärgern so naiv gewesen zu sein. Denn ich habe tatsächlich im Sinn, dass ein anderes Bild auf diesen Abend, oder besser gesagt eigentlich nur auf diese wenigen Minuten geworfen wird. Über diese wenigen Minuten meiner Verhaftung werden wir hier einige Tage lang reden. Absurd. Aber für mich persönlich wird hier nicht nur über diese paar Minuten gesprochen und verhandelt. Diese Minuten wirken bis heute nach, obwohl seitdem über 1000 Tage vergangen sind. In diesen paar Minuten stecken Gesetzesverschärfungen, um progressive Proteste noch weiter zu kriminalisieren, und es stecken auch die Gewalt von Hamburg, das aggressive Vorgehen der Polizei an dem Abend am Heinrichplatz und auch die 1000 Tage, die danach kamen, drin. An den meisten dieser Tage habe ich in irgendeiner Weise an diese Verhaftung gedacht und was das Anliegen der Kundgebung war. Und dass die Polizei hier, und auch sonst überall, jeden Tag neuen Stoff für solche Kundgebungen liefert.
Was ist in den über 1000 Tagen passiert?
Da waren unter anderem diese beiden Jungs, wie ich sie zu Beginn in Erzählungen immer nannte. Die beiden, die später mit mir die Anklagebank drücken sollten, da sie auch an diesem Abend mitgenommen wurden. Aus irgendeinem Grund konnte ich mir zunächst ihre Namen nicht merken und sie auch nicht recht unterscheiden, obwohl sie sich gar nicht ähnlich sehen und auch sonst sehr unterschiedlich sind. Der eine meinte direkt, dass wir das zusammen durch stehen. Und so war das dann auch. Ganz einfach. Aber so einfach war es nicht immer.
Denn Repression nervt nicht nur, sie nimmt dir nicht nur Zeit und Energie, sie hat auch die Macht Menschen zu spalten. Im ersten Verfahren gegen mich kam mir von der Richterin Dr. N. immenser Druck entgegen. Er lastete auf mir, sehr schwer sogar. Ich glaub sie hatte nicht so Recht Lust auf so ein langes Verfahren, wie so viele Richter*innen, wie mir berichtet wurde. Der Prozess war voller Bedrückung: von der räumlichen Trennung von den Menschen, die für mich da waren, bis hin zu einem fensterlosen Warteflur, den du dir mit diesen bewaffneten Typen teilen musst. Neben dem herrschte auch eine durch und durch autoritäre Stimmung im Saal. “Und das soll Gerechtigkeit sein? Oder der Gerechtigkeit dienen?” dachte ich an diesem Tag. Der Verlauf drohte die Menschen, die für mich, für uns alle 3 da waren, zu spalten. Es vergingen Wochen bis wir wieder zusammen kommen konnten, um den nächsten Prozess anzugehen und füreinander da zu sein. Und das taten wir mehr denn je. Der Person, die mich versucht haben soll zu befreien, sollte der Prozess gemacht werden. Wir gingen gestärkt in diesen zweiten Prozess und kamen mit ein paar kreativen Ideen ins Gericht, um uns den Raum zu nehmen anstatt ihn uns nehmen zu lassen. Ihre Kollegin Richterin St. fand das nicht so komisch. Zugegebenermaßen, das war nicht die feine englische Art sie während dem Prozess so geärgert zu haben 😉 , aber sie hat es uns auch sehr leicht gemacht. Und wer hätte denn ahnen können, dass Personen, die mit so einer enormen Macht ausgestattet sind, sich davon ärgern lassen, wenn das Publikum kollektiv mit dem Kopf schüttelt?
Zwei Gesetzesverschärfungen, eine Verhaftung und eine Verurteilung später geht es dann heute in die 2te Runde.
Nun komme ich dazu, warum es in diese 2te Runde überhaupt gehen konnte. Wieso ich nach zwei Gesetzesverschärfungen, einer Verhaftung und eine Verurteilung später, noch immer hier bin: wegen den Menschen, die da waren, als es immer ernster wurde, und die geblieben sind, als es so richtig schwierig unter uns war. Die uns drei Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn mal wieder ein gelber Brief rein flattert und zu Gericht gebeten wird. Wegen all den anderen, die mir ihre Zeit schenkten um zuhören. Ich bin wegen denjenigen immer noch hier, mit denen ich nach Wegen gesucht habe, dieses ganze Prozedere nicht nur zu überstehen, sondern um zu erreichen, dass nicht tagelang nur über ein paar Minuten am Heinrichplatz geredet wird, sondern auch darüber, was in den 1000 Tagen davor und danach passiert ist.
Vielen Dank