Die drei Heinis und die Sache mit der Polizeigewalt – NoG20 in Berlin
Die Proteste um den G20 in Hamburg liegen nun fast 2 Jahre zurück. Weder die Politik der G20 hat sich seitdem zum Positiven geändert, noch kann von einem Umdenken in Sachen Polizeigewalt und den damit verbundenen Prozessen gesprochen werden. Im Gegenteil: Polizeigesetze werden verschärft und es ist zu etlichen Verurteilungen gegen G20 Demonstrant*innen gekommen. Am 08.05.2019 um 9.00 Uhr in Saal B131 im Amtsgericht Tiergarten in der Wilsnackerstraße 4 steht der Prozess von einer von drei Aktivist*innen an, die kurz nach dem G20 bei einer Kundgebung gegen Polizeigewalt am Heinrichplatz festgenommen wurden.
Drei Wochen nach dem Gipfel:
Eine Videokundgebung in Berlin auf dem Heinrichplatz mit mehreren hundert Teilnehmer*innen macht auf die Gewaltexzesse der Polizei in Hamburg aufmerksam und belegt die Taten mit bewegten Bildern. Die eingesetzten Berliner Polizist*innen sind von der angesprochenen Thematik gar nicht begeistert und tun im Verlauf des Abends ihren Unmut mit Schlägen, Tritten und drei Verhaftungen von Aktivist*innen kund.
Zwei Jahre später:
Drei Prozesse stehen an!
Nun soll es denjenigen an den Kragen gehen, die nach dem Gipfel auf die Straße gingen, um auf die Polizeigewalt während der Gipfeltage aufmerksam zu machen. Getreu dem Motto des damaligen Hamburger Oberbürgermeisters: „Es gab keine Polizeigewalt!“ (Und wer behauptet, es hätte welche gegeben, kriegt aufs Maul und wird eingesperrt). Den drei Aktivist*innen drohen nun mehrmonatige Gefängnisstrafen, ausgesetzt auf Bewährung, sowie hohe Geldstrafen. Wie bei vorangegangenen Prozessen um den G20 werden auch sie kein Anrecht auf einen fairen Prozess haben, denn geglaubt wird im Zweifel nicht den Angeklagten, sondern der Polizei.
Was bisher geschah:
In bisherigen G20 Prozessen schrieb die Justiz den vermeintlichen Chaot*innen zu, dass sie »erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel hätten, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen.« Zitat-Ende. Angeklagte wie der damals 18 jährige Fabio würden die Menschenwürde nicht achten und Gewalt verherrlichen. Die Justiz ist der Meinung, sie käme mit Hilfe dieser Rhetorik zum Ziel, welche zum Teil an die Sprache des Nationalsozialismus erinnert.
Dank der kritischen Begleitung und der enormen Solidarität ist Fabio inzwischen auf freiem Fuß. Solidarität ist also eine effektive Waffe. Lasst uns weiter den Gefangenen schreiben, diejenigen unterstützen denen der Prozess gemacht wird und laut auf die Straße gehen gegen Polizeigewalt!
Nach dem G20 gab es weit über hundert Anzeigen wegen erlebter Polizeigewalt in Hamburg, verurteilt wurde bislang nur ein einziger Polizist. Die Verurteilung ist ironischerweise darin begründet, dass der Betroffene in diesem Fall selber Polizist war und bei einem Handgemenge in der Gefangenensammelstelle von einem anderen Polizisten verletzt worden sein soll.
Auch hier wieder: Geglaubt wird nur der Polizei. Tragen die Betroffenen keine Uniform, so ist die Gewalt der Cops scheinbar gerechtfertigt – es scheint sogar so, als bedürfe es in den meisten Fällen noch nicht einmal Ermittlungen, um dies zu wissen. Gibt es Anzeigen gegen Polizist*innen, folgen Gegenanzeigen gegen die Aktivist*innen, wegen Widerstand, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte oder Körperverletzung. Die Strafandrohung dafür liegt seit 2017 wegen der Verschärfungen der Gesetze zum Angriff und Widerstand gegen Polizist*innen schnell bei Haftstrafen von über drei Monaten. Es kann also mit hohen Strafen für die Leute enden, die sich vertrauensvoll mit solchen Anliegen an die Justiz wenden.
Die Gewalt der Cops während des G20 (und auch sonst) gilt uns allen!
Auch in Hamburg war egal ob mensch eine Mülltonne, einen Mercedes oder gar nichts angezündet hat. In diesen Tagen ging es der Polizei weniger um das Aufklären vermeintlicher Straftaten, sondern um die Ausübung massiver körperlicher Gewalt zum Zwecke der politischen Einschüchterung missliebiger Meinungen. Nicht nur bei Blockadeversuchen wie am Rondenbarg wurden Aktivist*innen Knochen gebrochen und schnelle medizinische Hilfe verhindert, sondern auch im Rahmen von bunten Aktionen, bei denen Musikgruppen im Zentrum von Hamburg gegen den Gipfel der G20 spielten. Verhaftungen völlig Unbeteiligter, rassistische Demütigungen und sexistische Übergriffe zogen sich durch die Tage des Gipfels, und nicht eines dieser Verbrechen ist heute aufgearbeitet. Keine Entschuldigung, keine Reue, nicht auf den Seiten der Schläger*innen und auch nicht in den Reihen der Täter*innen am Schreibtisch.
Lasst uns einander beistehen, wen auch immer es trifft.
Staatliche Repressionen sollen uns einschüchtern, aber wir lassen uns nicht kleinkriegen.
Die Gewalt der Polizei äußert sich nicht nur durch die Taten einzelner Personen, sie ist strukturell verankert. Die vielen Fälle von Polizeigewalt und auch die immer wieder aufgedeckten rassistischen und faschistischen Strukturen in der Polizei, der Bundeswehr und dem Verfassungsschutz verhallen weitestgehend ungehört. Erst kürzlich wurde in Frankfurt ein weiteres rechtes Netzwerk innerhalb der Polizei aufgedeckt. Aus diesem Umfeld wurde eine Anwältin, die die Nebenklage im NSU-Prozess vertrat, und ihre Familie rassistisch beleidigt und mit dem Tode bedroht. Die Politik zieht keine Konsequenzen, der Aufschrei bleibt aus.
Aus Berlin sind uns die Bilder des brutalen Polizeieinsatzes am Kottbusser Tor im letzten Jahr noch in Erinnerung. Dort wurde eine Schwarze Person unter Anwendung erheblicher Gewalt und gezogener Schusswaffe von den Cops festgenommen, da ihr vorgeworfen wurde ein Fahrrad stehlen zu wollen. Umstehende Passant*innen, die die täglichen Schikanen der Polizei vom Kotti nur zu gut kennen, zeigten kollektiv ihren Unmut über den Einsatz und gerieten dadurch selbst in den Fokus der polizeilichen Gewalt.
Während die Politik über den Rechtsruck lamentiert, werden trotz der vielen aufgedeckten faschistischen Strukturen in der Polizei und anderen staatlichen Apparaten keine Konsequenzen gezogen. Warum auch? Wer Teil davon ist, lässt das alles lieber unbeantwortet.
Und wer die Polizeigesetze weiter verschärft, sieht nicht nur zu, sondern gestaltet diesen autoritären Prozess mit. Mit den neuen Gesetzen wird die Polizei dazu berechtigt, Meldeauflagen oder Demonstrationsverbote zu erteilen, ohne dass eine Person je eine Straftat begangen hat. Sie bieten eine Steilvorlage, um unliebsame politische Aktivist*innen zu verfolgen und in ihrer Freiheit einzuschränken. Zugleich wird die demokratische Gewaltenteilung Stück für Stück aufgelöst und damit aufgegeben. Eingeführt werden viele der Neuerungen unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung und werden von dort schleichend in weitere Bereiche übertragen, wie es Polizei und Staatsanwaltschaft gerade passt.
In Berlin werden die Änderungen zum Polizeigesetz zurzeit im Abgeordnetenhaus diskutiert, haltet euch auf dem Laufenden und seid laut gegen die Polizei, die sich aktuell mit immer weiteren Befugnissen und militärischem Gerät ausstatten lässt.
Zurück zum Heinrichplatz:
Es gab also im Herbst 2017 eine Video-Kundgebung bei der drei Aktivist*innen festgenommen wurden. Ihnen wird in jeweils unterschiedlicher Zusammenstellung versuchte Gefangenenbefreiung, Körperverletzung, tätlicher Angriff, Widerstand und Landfriedensbruch vorgeworfen. Als die Polizei anfing die Leute von der Straße zu räumen, sollen nach deren Darstellung tumultartige Szenen ausgebrochen sein, in deren Verlauf sich die drei Angeklagten als Haupttäter*innen hervorgetan haben sollen.
Die Cops haben sie sich raus gegriffen und nun nach bald zwei Jahren steht der erste Prozess an. Getroffen hat es einige, gemeint waren alle!
Der erste Prozess beginnt am 08.05.2019 um 9.00 Uhr in Saal B131 im Amtsgericht Tiergarten in der Wilsnackerstraße 4
Kommt zahlreich, der Saal soll voll sein!
Vor dem Gericht wird es ab 8.00 Uhr eine Kundgebung geben, mit Frühstück, Redebeiträgen und Filmausschnitten zur Polizeigewalt während des G20.
Uns ist eine öffentliche, politische Prozessführung wichtig. Wir lassen uns nicht vereinzeln und nicht klein kriegen. Gerade in diesen Zeiten müssen Menschen weiterhin protestieren. Ob in Hamburg, Chemnitz oder Kreuzberg, wir alle müssen frei auf die Straße gehen können um diesen Zuständen ein unversöhnliches Nein entgegensetzen. Und wir müssen ebenso frei wieder nach Hause gehen können. Frei von Repressionen oder nur der Angst davor.
Darum lasst uns weiter die Gefangenen unterstützen mit Kundgebungen wie diesen, lasst uns ihnen Briefe schreiben um die Isolation zu durchbrechen und an die Rote Hilfe spenden, damit die Unmengen an Gerichtskosten und Strafgeldern bezahlt werden können.
Freiheit für alle politischen Gefangenen!