Die drei Heinis – Reflektion erster Prozess noG20 Videokundgebung Heinrichplatz 2017
1.Teil – Zweites Kapitel
Reflexionen zum Umgang mit dem ersten Prozesstag des ersten Heinis.
In diesem Artikel möchten wir gerne die Geschehnisse, Entscheidungen und Situationen vom 08.05. aus dem Amtsgericht Tiergarten aufarbeiten (erster Artikel https://de.indymedia.org/node/32091 ). Dafür werden im Folgenden die Ereignisse dargestellt, so wie wir sie an jenem Tag war genommen haben und wie sie sich für uns im Nachklang anfühlen.
Wir sind sehr dankbar für die viele Unterstützung, die uns durch euch zuteil wurde und wir konnten mit gestärktem Rücken in diesen Prozess gehen. Umso mehr bedauern wir die lange Zeit, die es brauchte, bis wir uns nun mit diesem Text erneut an die Öffentlichkeit wenden können. Wie die meisten, die an diesem Vormittag zugegen waren sicherlich vermuten, hat uns der Ausgang des Prozesses und die Aufarbeitung dessen viel Nerven und Zeit gekostet. Wut, Ohnmacht und teilweise sehr diverse Perspektiven auf das Geschehene in der Soligruppe der drei Heinis mussten besprochen und zu Ergebnissen geführt werden.
Wir bitten dafür um Verständnis und bedanken uns für die Geduld.
Beginnen wir also mit einem kleinen Abriss des Geschehens:
Für uns hat der Tag früh begonnen, denn der Termin war auf 09.00h angesetzt. Bereits um 8.00h haben wir eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude eingerichtet, die als Sammelpunkt für die zahlreichen Unterstützer*innen und als Infopunkt genutzt wurde und die ein öffentlich sichtbarer Protest gegen Polizeigewalt war. Sinnvoll war die Kundgebung auch, weil der Prozess spontan in einen Hochsicherheitsraum verlegt wurde – diese Praxis ist uns aus anderen Prozessen gegen Linke wohlbekannt. Also alle schnell Kaffee getrunken und los, ab in die Schlange zur Durchleuchtung und zum Abtasten. Die Vorkehrungen waren penibel, und es hat sehr lange gedauert, bis alle Menschen durch die Kontrollen gekommen waren.
Währenddessen hatte die Richterin Zeit, ihrem Unmut über die vielen Besucher*innen und die Warterei freien Lauf zu lassen. Prophylaktisch drohte sie damit, dem noch nicht angekommenen Publikum Abmahnungen zu erteilen und damit, dass sie das nächste Mal nicht warten würde, bis alle im Saal sind. Ebenso spekulierte sie darauf, dass im Laufe der geplanten Prozesstage die Solidarität abnehmen würde. Doch ihre Hoffnung wird von der Staatsanwältin getrübt: “Nee nee, wenn die erst mal aktiviert sind, kommen die immer wieder.” – “Ganz genau!”, denken wir uns. “Wir werden immer wieder kommen – bis ihr uns keine Verfahren mehr aufhalst.” Mit eineinhalbstündiger Verspätung kann es erst losgehen und endlich füllt sich der Saal mit den Besucher*innen. Das Gefühl, der Justiz völlig ausgeliefert zu sein, schwindet. Sichtlich genervt eröffnet die Richterin die Verhandlung, die auf ihr Drängen hin auch nur bis mittags gehen sollte. Der Prozess begann dann mit der üblichen Personalienabfrage – Blabla, Anklageschrift-Verlesung und der Frage, ob die Angeklagte sich äußern wollen würde, welches verneint wurde. Und so begann das Schauspiel. Ein Schauspiel zwischen Staatsgewalt und parteiischer Justiz, routiniert und einstudiert.
Die Befragung des ersten Bullen erbrachte keine nennenswerten Erkenntnisse. Es schien so, als habe er keinerlei Erinnerungen an den Einsatzabend. Seinen eigenen Bericht zu den Vorfällen hatte er offenbar nicht gelesen. Er wisse auch gar nicht so richtig, weswegen er geladen worden sei. Nach einigem Herumgebohre gab die Richterin der Verteidigung das Wort.
Diese ergriff gleich die Chance zu erfragen, ob er sich denn an verschiedene Namen der Angeklagten erinnern könne, was verneint wurde – als ob er selbst überhaupt nicht dabei gewesen wäre. Ein paar Erinnerungen waren aber doch noch da. So wurden die Schmerzensschreie der Angeklagten als Theatralik und „das übliche Geschreie“ abgetan und verharmlost.
Ähnlich verlief es mit dem zweiten Zeugen, der ebenfalls kaum relevantes zu Protokoll geben konnte, allerdings seinen Bericht zuvor sehr wohl gelesen hatte und sich auf dem Flur schon mit Kollegen ausgetauscht hatte, worum es an dem besagten Abend im Sommer 2017 genau ging. Doch auch bei ihm blieb alles sehr verschleiert, außer dass er sich ganz genau erinnern könne, welcher Kollege vom ersten Heini “angegriffen” worden sei, denn er habe die drei Punkte und die Dienstnummer des Kollegen noch genau vor Augen.
“Spannend, wie das Gedächtnis so funktioniert. Ein Schleier von nichts und drei Punkte… Aha.”, denken wir und folgen etwas amüsiert weiter der Verhandlung.
Der dritte Zeuge kam augenscheinlich wütend in den Gerichtssaal, Körpersprache männlich und aggressiv. Er ist derjenige, der ein Schmerzensgeld von 400€ fordert, wegen eines Kratzers im Gesicht und Juckens am Hals. Seinen Bericht konnte er vorbildlich rezitieren. Und doch tat er der Richterin nicht den Gefallen zu behaupten, dass der Heini aus einer Gruppe heraus agiert habe – obwohl sie ihn mit ihren Nachfragen schier dazu drängte. Dadurch war die Hauptbelastung von gemeinschaftlichem Widerstand nicht belegbar.
Nun passierte etwas Unerwartetes: Die Richterin unterbrach die Verhandlung und zog sich mit Staatsanwältin und Anwalt der Betroffenen zur Beratung zurück. Wir stellen uns in der Zwischenzeit vor, was da wohl abläuft: “Hmm, was machen wir jetzt? Kein gemeinsamer Widerstand, hmm … langweilig”
Das Angebot, welches über den Anwalt an die betroffene Person herangetragen wurde, lag bei 180 Tagessätzen. Werde dies abgelehnt, würd es auf eine Bewährung hinauslaufen, ließ die Richterin druchblicken. Die Staatsanwaltschaft, die vor dem Prozess mindestens 8 Monate Bewährung forderte, stimmte der Höhe an Tagessätzen zu.
Die Entscheidung:
Ein entschiedener Wunsch des Heinis war es, möglichst ohne eine Bewährungsstrafe aus diesem Prozess zu gehen. Diese Aussicht gab es nun. Wir möchten zum besseren Verständnis an dieser Stelle ein Bild aus der Sicht der betroffenen Person malen:
Ein fensterloser Flur an der Tür zum Gerichtssaal mit unbequemen Stühlen und drückender Stimmung. Neben dir anwesend sind mehrere Justizbeamt*innen und die Bullen, die dir den Prozess machen wollen. Der Anwalt ist zur Beratung mit der Richterin und der Staatsanwältin im Gerichtssaal verblieben, den alle Anderen verlassen mussten. Er erscheint nach einer gefühlten Ewigkeit und offenbart die Vorstellungen der Richtenden. Die Entscheidung sei augenblicklich zu treffen. Friss oder Stirb. Angebot oder Erpressung?! Noch Fragen? Ja, ne Menge, aber hier direkt neben dem Bullen?! Was für eine beschissene Situation! Der Druck wächst ins Unermessliche und all die Ruhe, mit der du den Tag überstehen wolltest, verfliegt im dumpfen Licht der Steinmauern. Kein Rückzug, nicht einmal 20 Minuten werden gegeben, um zu reflektieren, mit Freund*innen zu beraten und die Optionen abzuwägen. Also lautet die Antwort: “Ääähhhh, ja? ja. ja? hmmmm…!”
Zurück im Gerichtssaal folgt das Plädoyer der Staatanwaltschaft und der Verteidigung. Ein erneuter Rückzug der Richterin für sich allein und das Urteil steht: 180 Tagessätze zu je 15 €uro, also 2700€ plus Gerichts- und Anwaltskosten. Ein heftiges Urteil ohne Beweise oder Anhaltspunkte, zustande gekommen unter immensem Druck auf die Angeklagte. Zum Tatvorwurf oder Anderem hat der erste Heini keine Aussage gemacht und sich nicht distanziert. Trotzdem machte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung die Spaltung auf, zwischen denen, die sich haben mitreißen lassen und denen, die die Stimmung angeheizt haben. Das hinterließ Wut bei vielen, die die Begründung mitbekamen. In der schriftlichen Urteilsbegründung ist von dieser Trennung nichts mehr zu lesen, die angeklagte Aktivistin habe genauso zu den Ereignissen des Abends beigetragen wie andere.
Gegen das Urteil ist Berufung eingelegt, der Termin wird voraussichtlich in den nächsten Monaten stattfinden. Es zeigt sich wieder: Staat und Justiz drohen mit abschreckenden Strafen, und Beweise hin oder her, plötzlich bist du froh, wenn das Urteil “nur” 180 Tagessätze beträgt. Diese Praxis wurde ihnen durch die Gesetzesverschärfungen zum tätlichen Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor zwei Jahren noch leichter gemacht. Die Auswirkungen zeigen sich in vielen G20 Verfahren und sind auch in diesem Verfahren zu spüren.
Reflexion: Unerwartete Situationen, Kritik und Selbstkritik
Die drei Heinis und ihre Crew sind eine aus Repressionsdruck und Solidarität gegründete Gruppe aus verschiedenen Zusammenhängen und mit diversen politischen Perspektiven und Überzeugungen. Die Zeit, die wir hatten, um uns als Gruppe zu finden, gemeinsam Begriffe zu definieren usw. war knapp. Dadurch haben wir Dinge erst erleben müssen, um jetzt zu Erkenntnissen und neuen Fragestellungen gelangt zu sein. Folgende Punkte sind uns beim Zusammentragen der Geschehnisse aufgefallen und versuchen nun, sie für uns zu (er)klären:
1. Solidarische Prozessbegleitung und Politische Prozessführung
Solidarische Prozessbegleitung ist die Begleitung einer von Repression betroffenen Person. Hierbei geht es um emotionale Unterstützung, Krisengespräche, Rückhalt, das Auffangen und die Beratung im Umgang mit bevorstehenden Situationen, sowie das Sammeln von Geldern und Öffentlichkeitsarbeit.
Politische Prozessführung beinhaltet sowohl die Auseinandersetzung mit der bevorstehenden Repression als auch die Art des Umgangs mit dem Prozess als solchem. Hierbei können diverse Themen eine Rolle spielen: offensive Prozessführung, Öffentlichkeitsarbeit, Aufrufe zur Unterstützung, das Verfassen von gemeinsamen politischen Zielen, das Sammeln von Geldern und vieles mehr.
Im Nachgang des ersten Prozesses ist uns klar geworden: Es ist wichtig, im Vorfeld diese Begriffe zu klären und was sie bedeuten können und sich darin zu verorten. Andernfalls kann es zu Missverständnissen kommen.
2. Überschneidungen zwischen den beiden Begriffen
Grundsätzlich ist es nicht nötig, sich für eine der beiden Varianten zu entscheiden – beides ist möglich. Dafür braucht es aber ständigen Austausch an den Überschneidungspunkten der jeweiligen Arten, um emotionalen Druck und politische Richtung auf diesem schmalen Grad führen zu können.
Einig waren wir uns, dass wir den Prozess politisch führen wollten. Doch heißt das auch, den Prozess offensiv zu führen? Was bedeutet das eigentlich genau? Möglichkeiten, offensiv den politischen Zusammenhang des Gerichtsverfahrens klarzumachen, sind z.B. Prozesserklärungen oder Störungen aller Art. Die Richtenden reagieren meist empfindlich auf unangepasstes widerständiges Verhalten. Allerdings muss sich an dieser Stelle auch gefragt werden: Wozu bin ich als betroffene Person in der Lage? Womit fühle ich mich wohl? Dazu muss im Vorfeld differenziert werden und Überzeugungen gegen Befürchtungen abgewogen werden. Letztendlich ist das Ziel, dass die Betroffene eine klare Position darin findet und die Gruppe diese Position solidarisch mittragen kann.
3. Wodurch wird eine politische Prozessführung entpolitisiert? War dies hier der Fall?
Eine politische Prozessführung, bzw. ein politischer Prozess im allgemeinen wird entpolitisiert, wenn es entschuldigende Geständnisse und Entschuldigungen gibt oder Leute verraten werden. Sich an einer bestimmten Stelle mit der bevorstehenden Strafe zu arrangieren und sie hinzunehmen, ohne bis aufs Letzte für die gerichtliche Anerkennung der Unschuld zu kämpfen, bedeutet für uns nicht, dass hier entpolitisiert wird. Genauso berechtigt ist die Entscheidung, sich nicht von dem Bedrohungsszenario beeindrucken zu lassen und jede Sanktionslogik zu verweigern. Denn am Ende geht es darum, handlungsfähig mit Geist und Körper in die nächste Aktion zu gehen und sein Leben guten Gewissens weiter führen zu können.
4. Sozialer Druck
Wieviel Einfluss hat der soziale Druck auf mein Handeln als betroffene Person? Und inwiefern ist das “guter” Druck? Welche Rolle spielt Empowerment? Hier geht es z.B. um Erwartungshaltungen von Anderen und sich selbst, sozialen Druck aus der Gruppe und größeren Kontexten. An diesem Punkt überschneiden sich solidarische Begleitung und politische Prozessführung. Es gilt einen reflektierten Umgang und ständigen Abgleich mit den eigenen Gedanken und denen anderer zu suchen. Hierfür ist wichtig, dass die betroffene Person sich in der Gruppe sicher und aufgehoben fühlt. Ist dies nicht der Fall, kann dies dazu führen, dass unausgesprochene Erwartungen oder die Vermutung von Erwartungen den Prozess der Gruppe bei der Arbeit stören oder sie gar handlungsunfähig machen. Das gegenseitige Vertrauen in und aus der Gruppe ist ein sehr wichtiger Teil in der Vorbereitungsarbeit als Soligruppe und ermöglicht der betroffenen Person wie auch dem Rest der Gruppe, über sich hinauszuwachsen und Schritte zu gehen, die sie sich vor dem gemeinsamen Gruppenprozess nicht zugetraut hätten. Es schafft Möglichkeiten der tieferen Auseinandersetzung, das gemeinsame Wachsen an Erkenntnissen und ermöglicht, dem “äußeren Druck” nicht allein gegenüberzustehen.
5. Angst
Inwiefern bin ich, wenn ich Angst vor Repression habe, noch fähig, politisch klug zu agieren? Trete ich meine Entscheidungsfähigkeit an einem gewissen Punkt an meine Gruppe ab? Wie können lähmende Gefühle überwunden oder sogar vermieden werden? Das Thema Angst beschäftigt uns weiterhin, und wir sind aktuell kaum in der Lage, so viel Abstand zu dieser Frage zu gewinnen, dass wir darüber eine “Gruppenmeinung” formulieren könnten.
So viel: Hast du Freund*innen im Rücken, kann die Angst vor der Repression rasant schwinden. Kannst du auf eine Gruppe vertrauen, hält sie dich auf den Beinen, wenn die Knie zittern.
Hier hilft nur gute und achtsame Care-Arbeit. Aufeinander aufpassen, sich artikulieren und zuhören ist die Devise.
6. Überraschung…
Welche Situationen können im Laufe einer Verhandlung auftreten und welche Möglichkeiten habe ich als angeklagte Person (spontane Deals, Pausen verlangen, selbstbewusstes Agieren, Position d. Anwält*in)
Ganz egal, wie bedrohlich und unabwendbar die Vorwürfe gegen uns sind, müssen wir immer und jederzeit auf spontane Unterbrechungen und Deals vorbereitet sein. Daher ist es notwendig, sich im Vorhinein über verschiedene Verfahrensweisen im Umgang mit solchen Situationen bewusst zu werden und sich darüber auszutauschen. Dem Mittel des spontanen Drucks der Tyrann*innen und verlockenden Angebote müssen wir uns immer bewusst sein und in solchen Situationen Ruhe bewahren. Es erfordert viel Mut und einen kühlen Kopf, sich in solchen Situationen zu behaupten und gefühlt unmögliche Dinge einzufordern. Sei es eine Unterbrechung, um sich mit Unterstützer*innen zu beraten oder um spontan den Verhandlungstag unterbrechen zu lassen, weil einem alles zu viel wird. Oder auch einfach nur weil man auf die Toilette will. Dies sind Spielräume und selbstermächtigende Varianten, um sich aus der Passivität der Situation partiell zu lösen, den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen und Kopf und Körper mit frischem Sauerstoff zu versorgen – sich kurz zu sammeln. Um dies nicht aus den Augen zu verlieren, ist es möglich, auch die eigenen Verteidiger*innen als Werkzeug zu begreifen, sie im Vorhinein darauf vorzubereiten und zu sensibilisieren. Denn unser Wohl ist ihr Job.
7. Anwätliche Vertretung – Zwischen Solidarität und Abhängigkeit
Was ist wichtig für die Vorbereitung, was erwarten wir von einer Verteidigung und wie benutzen wir sie? Anwält*innen stellen in ihrer Position das Bindeglied zwischen angeklagter Person und Justiz dar. Sie agieren nach bestem Gewissen und in unserem Interesse. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Interessen möglichst tiefgehend in der Vorbereitung besprochen werden. Ihre Tätigkeit befindet sich auf einem Gebiet, das für die meisten von uns Fledermausland ist. Umso wichtiger also, dass wir sie kritisch hinterfragen, ihnen widersprechen und einen Diskurs mit ihnen führen, um sie aus ihrem bürokratisierten Alltag zu entführen. Dumme Fragen gibt es nicht. Kritik an ihnen zu äußern ist völlig legitim und angebracht, wenn wir uns in der Vorbereitung und/oder im Prozess nicht adäquat behandelt fühlen. Eine herablassende Haltung ist nicht akzeptabel oder tolerierbar. Das angestrebte Verhältnis befindet sich auf Augenhöhe, und es steht uns jederzeit frei, die Verteidiger*innen zu wechseln, sollten wir uns unwohl fühlen. Dies kann auch ein Grund sein, einen Verhandlungstag zu unterbrechen.
Obwohl es keine Entschuldigung, Distanzierung oder Einlassung gab, hinterlässt der Ausgang des Prozesses trotzdem ein unwohles bis widerliches Gefühl. So weit verbreitet die Befürchtung ist, dass es zu nichts Gutem führt, wenn bis zuletzt gekämpft wird, genauso entschieden sollte diese Annahme in Frage gestellt werden und im Einzelfall immer wieder neu entschieden werden. Die Möglichkeit, sich aus Überzeugung gegen die Logik der Gerichte zu stellen, braucht Mut und einen kühlen Kopf, den wir uns nicht von Zukunftsängsten und Angst vor gesellschaftlicher und staatlicher Sanktion vernebeln lassen sollten. Andererseits ist es genauso legitim, strategisch die geringste Strafe herausholen zu wollen, um möglichst lange uneingeschränkt aktionsfähig zu bleiben.
Wie schon in unserem ersten Artikel deutlich wurde, sind wir nie davon ausgegangen, einen “fairen” Prozess zu erhalten. Die Aufrechterhaltung der “Ordnung” wird benutzt, um die Normativität für die Konsumgesellschaft möglichst breit zu halten. Je mehr Menschen den geregelten Gang gehen, desto mehr Kapital kann aus ihnen geschlagen werden. Und der Trend geht zu immer härteren Strafen für immer kleinere Delikte. Immer mehr Menschen sitzen wegen kleinster Eigentumsdelikte, wie ohne Ticket zu fahren, im Knast. An jeder Stelle unseres Lebens sind wir damit konfrontiert, Grenzen einzuhalten und bei Verstößen mit den Strafen umzugehen. Das formt uns zu einer im Großen und Ganzen kontrollierbaren und berechenbaren Gesellschaft. Aber der Teil, der das alles ins Wanken bringen kann, ist der Teil, der sich nicht fügt.
An dieser Stelle haben Staat und Justiz wiedermal unter Zurschaustellung ihrer Macht und ihrem Missverständnis von Ordnung und Strafe, gezeigt, wohin die Realität uns bringt. Kritische Äußerungen, Handlungen und selbstbestimmtes Leben machen den Herrschenden Angst. Und zwar so viel Angst, dass wir bei Formulierungen von Träumen bereits mit Strafen zu rechnen haben.
Wir sind Dieb*innen, Betrüger*innen, Aktivist*innen, Übeltäter*innen – die Funken an der Lunte der befriedeten Gesellschaften. Wir sind der Auslöser für immer mehr und mehr absurdere Gesetze.
Wir bleiben unbequem.